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Das Leben mit der Krankheit: Morbus Wegener

Dieser Vortrag wurde von Frau Ingrid Grobe-Woweries aus 69502 Hemsbach am 04.Mai 2002 auf einer Informationsveranstaltung für Vaskulitispatienten im Klinikum Mannheim gehalten.

Dieser Beitrag soll u.a. dazu dienen, Neuerkrankten die Angst vor dem Krankheitsverlauf zu nehmen, aufzuzeigen, wie mit dem Erscheinungsbild der Krankheit umzugehen ist und wie das Leben mit der Krankheit gemeistert werden kann. Das Thema "Leben mit der Krankheit" soll gleich zu Anfang in "Leben mit einer chronischen Krankheit" abgewandelt werden. Denn eine chronische Krankheit ist nicht nur eine körperliche, sondern vor allem eine seelische und soziale Herausforderung für die Betroffenen und Angehörigen. Vielleicht kann ich einen Beitrag dazu leisten, Betroffenen Möglichkeiten aufzuzeigen, die Lebensqualität zu erhalten bzw. zu verbessern.

Ich sehe meine Krankheit als eine Aufgabe, die das Leben mir stellt, deren Bewältigung nie abgeschlossen sein wird. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass chronisch kranke Menschen in ihrem Alltag fortdauernden Belastungen ausgesetzt sind und sich immer wieder die Frage stellt, was muss ich alles erleiden, werde ich damit leben können? Die ständigen Schmerzen, die tägliche Einnahme von Medikamenten oder die Angst vor einem Fortschreiten der Krankheit belastet alle Betroffenen und, sofern noch keine Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, den Berufsalltag. Diagnostik und Therapie der betroffenen Patienten mit chronischen Erkrankungen stellen jeden Arzt, besonders den Hausarzt und sogar den Facharzt, vor große Herausforderungen. Das heisst aber auch gleichzeitig: Chronisch Kranke benötigen mehr als nur einen guten Arzt! Eine enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Arzt und seiner Klinik fördert das Verstehen des Krankheitsbildes und damit das Verständnis des Patienten für die notwendige Therapie. Er wird über Erfolgsaussichten, mögliche Risiken und unvermeidliche Nebenwirkungen hautnah informiert. Durch engmaschige Kontrolluntersuchungen kann die chronische Erkrankung unter Kontrolle gehalten und damit auch die Lebensqualität in einem erträglichen Rahmen gehalten werden. Daraus ergibt sich zugleich die Möglichkeit, selbst etwas zur Krankheitsbewältigung und zur Gesundheitsförderung zu tun. Die Zusammenarbeit zwischen Patient, Arzt und Krankenhaus ist also von ausschlaggebender Bedeutung!

Nun werden Sie fragen, wie hat alles bei mir angefangen? Zum weiteren Verständnis muss ich vorausschicken, dass es sich bei meiner Vaskulitis um einen Morbus Wegener handelt, der einer lebenslangen, z.T. aggressiven Behandlung unterliegt. Vor dem Leben mit der Krankheit gab es die Zeit mit den übersehbaren Anfangssymptomen. Es begann vor etwa 8 Jahren, ein diffuses Krankheitsbild! Im nachhinein muss ich aber zugeben, dass die Vaskulitis nicht blitzartig aus heiterem Himmel auf einen herabgestürzt ist. Es bot sich das Bild häufiger Erkältungen, die nie richtig abklangen. Ständiger Schnupfen, die bekannten Hausmittel und Abwarten nützten wenig bzw. nichts. Dazu gesellten sich häufige Augenentzündungen und monatelanger Tinnitus, also Störungen im Hörempfinden, Fieberschübe, Schweissausbrüche und Kopfschmerzen, verbunden mit Schlappheit und Antriebslosigkeit.

Dann traten Gelenkschmerzen mit Schwellungen auf. Nicht andeutungsweise haben ich oder mein Hausarzt an die lebensbedrohende Krankheit gedacht trotz medizinischer Vorkenntnisse aus meinem Beruf als Arzthelferin in einer großen Allgemeinpraxis und der Ärztin als Freundin. Ziemlich plötzlich, heute vor 7 Jahren, kamen zu Sprung- und Kniegelenkschmerzen Missempfindungen wie Kribbeln und "Taubheitsgefühle" in den Beinen hinzu. Eine Untersuchung der Wirbelsäule mit neurologischer Abklärung führte nicht weiter. Eines Abends bekam ich meinen Fuß nicht mehr hoch, ich stolperte über meine eigenen Zehen. Zusätzlich traten Lähmungserscheinungen in beiden Unterschenkeln und im Fußbereich auf.

Dann allerdings wurde schnell gehandelt. Nach Alarmierung des Hausarztes durch meinen entnervten Mann, vor dem ich immer meine Krankheit heruntergespielt hatte, führte der Weg umgehend in die Neurologie des Klinikums hier in Mannheim. Um die Schilderung etwas abzukürzen: Bald stand der Verdacht auf Morbus Wegener im Raum. Glücklicherweise war wenige Tage vor meiner Einlieferung Prof. van der Woude an das Klinikum Mannheim gekommen. Das war einem Arzt im Praktikum bekannt, der schätzte die Krankheitssymptome richtig ein und sorgte für eine baldige Vorstellung. Die Bestätigung erfolgte nach einer Nerven- und Nierenbiopsie. Das Krankheitsgeschehen verschlechterte sich rapide. Nach feststehender Diagnose konnte man mit der Standard-Einstiegstherapie mit Cyclophosphamid, das heißt "Endoxan", und sehr hoher Cortisongabe beginnen.

Damit begann mein Leben mit der Vaskulitis, dem Morbus Wegener. Diese Chemotherapie, um nichts anderes handelt es sich ja, war niederschmetternd. Es war eine harte Zeit, langsam begann ich zu begreifen, dass es sich um eine chronische Krankheit handelt mit lebenslang erforderlicher Behandlung und zugehörigen Kontrolluntersuchungen.

Jetzt galt es, sich zu arrangieren! Das ganze Leben musste umgestellt werden, die Schwerpunkte wurden neu definiert. Die körperliche und seelische Belastungsfähigkeit näherte sich rapide einem Minimum, an Laufen, z.B. über 100 m hinaus, war damals nicht mehr zu denken. Innerhalb eines Jahres wurde ich aus meinem so geliebten Arbeitsleben gerissen, die Erwerbsunfähigkeit war zur bitteren Realität geworden. Die Entzündung der Blutgefäße im Bauchraum verursachte bei mir heftige, kolikartige Bauchschmerzen, deren Ursache erst spät mit einer besonderen Untersuchungsmethode gefunden wurde und mit einer Operation endete. Dass sich dieser geschilderte erbärmliche Zustand bald besserte, ist wohl der hervorragenden Behandlung und Betreuung durch Prof. van der Woude und seinem Team zuzuschreiben. Dank "Endoxan" und Cortison litt der Appetit gewaltig, wie eben bei einer Chemotherapie, nur wenig wurde vertragen, als Früchte kamen praktisch nur Tomaten in Frage. Starker Haarausfall kam noch hinzu. Die physische Belastung, die sich oft in Stimmungsschwankungen äußerte, wurde durch Anpassungen im Tagesablauf und in der Partnerschaft, durch Umstellungen in der Ernährung, durch Anschaffung eines Haustieres und Arbeiten im Garten, was bis dahin für mich eine Horrorvorstellung war, aber auch durch intensives Befassen mit den Ergebnissen aus dem Forschungsbereich der Vaskulitiden und häufigen Gedankenaustausch mit den behandelnden Ärzten abgefangen. All das führte zu einer insgesamt positiveren Lebenseinstellung, einfach durch das Wissen, dass es wahrlich noch schlimmere Krankheiten gibt.

Die Selbstbeobachtung zieht sich wie ein roter Faden durch den Alltag. Dies kann die Beurteilung der Medikation durch den Arzt erleichtern. Denn jede Veränderung, jedes "Zipperlein" im Körper wird genau registriert und soll auch mitgeteilt werden, ohne jede Übertreibung. Dazu gehört die dauernde Frage nach dem "Frühwarnsystem", den ANCA-Werten, und in wieweit das körperliche Empfinden mit den Schwankungen der Kontrollwerte einhergeht. Die Dosierung der Medikamente gehört zur Erfahrungskunst des jeweils behandelnden Arztes. Eine angestrebte, wünschenswerte Reduzierung entzündungshemmender Mittel kann durchaus zu einem nicht sofort erkannten Wiederaufflammen der Krankheit führen. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass eine Heilung dieser Krankheit praktisch unmöglich ist. Es ist eine vordringliche Aufgabe des Patienten, seine Augen, seine Nase, seine Ohren, die Verdauung, die Blase (Blut im Urin?) und den Blutdruck ständig unter Kontrolle zu halten. Dazu gehört auch die regelmäßige Gewichtskontrolle und die Beobachtung eventuell schlecht heilender Wunden. Zum täglichen Ablauf gehören die genaue Dosierung und die richtige Tageszeit für die Einnahme der Medikamente. Sie haben großen Einfluss auf die Wirksamkeit der Therapie und das Befinden des Patienten, beispielsweise die grundsätzlich morgendliche Gabe des Cortisons.

Aufgrund der Infektanfälligkeit durch das geschwächte Abwehrsystem infolge von Immunsuppression und anderer Medikamente muss auf ständig lauernde Infektionsgefahren geachtet werden: Man sollte Abstand halten zu Personen, die eine Erkältung mit Husten haben. Ebenso sind große Menschenansammlungen wie im Kino, im Theater und in Ausstellungen zu meiden. Man denke auch an die vielen Klimaanlagen! Das Anfassen von Treppengeländern im öffentlichen Bereich vermeide ich z.B. grundsätzlich. Händewaschen spätestens nach Ankunft zu Hause muss zur Routine werden. Die Angst vor einem neuen Schub ist Dein ständiger Begleiter! Dennoch werden sich trotz der Behandlungserfolge ständig neue, stationäre Klinikaufenthalte kaum vermeiden lassen. Ein Vaskulitispatient muss auch mit kritischen Behandlungsverfahren rechnen, die im Akutfall bei z.B. raschem Ansteigen der Entzündungswerte umgehend einzusetzen sind. Dazu gehören u.a. Operationen bis hin zur risikobehafteten Blutwäsche, der Plasmapherese, nicht zu verwechseln mit der Dialyse. Eine Grunderfahrung der mittlerweile mehrjährigen Therapie meiner Wegener'schen Granulomatose ist das Vorbereitetsein auf relativ plötzlich notwendig werdende Umstellungen im Einsatz der Medikamente und die Absage eines geplanten Urlaubs. Im Mittel war nach Ablauf eines Jahres die Wirksamkeit der alten Therapie nicht mehr ausreichend. Glücklicherweise konnte bisher eine geeignete Anschlusstherapie meinen Gesundheitszustand wieder stabilisieren. Dazu gehörten auch Medikamente, die nur im Erprobungsstadium ohne Zulassung unter Ausnutzung guter Kontakte zwischen Klinikum und Hersteller eingesetzt wurden. Dazu gehörte Spanidin und Cellcept. Der Patient muss immer damit rechnen, dass seine Behandlung wieder neu angepasst werden muss. Ich habe schon alle in meinen Ausführungen angesprochenen Therapien hinter mir. Kontrolluntersuchungen, vorwiegend des Blutes, oft im Abstand weniger Tage bis günstigstenfalls einiger Wochen oder Monate sind unvermeidlich. Der Patient muss durchaus damit rechnen, dass nach jahrelanger Blutabnahme und durch Cortison die Venen sehr strapaziert sind und nur noch wenige Spezialisten erfolgreich das Blut abnehmen können. Aber man darf auch nicht die Augen verschließen vor den Nebenwirkungen des ansonsten so segensreichen Cortisons. Es handelt sich in unseren Fällen ja um eine chronische Krankheit mit Dauerbehandlung. Es besteht die Gefahr der Entkalkung unseres Knochengerüstes, der Osteoporose (eine Kontrolle der Knochendichte sollte durchgeführt werden) und der Ausdünnung der Haut mit einem einhergehenden Schwund des Unterhautfettgewebes. Geringste mechanische Überlastung bei relativ harmlosen Tätigkeiten durch Druck führt zu teilweise Zentimeter großen Unterhautblutungen, besonders im Unterarmbereich. Neben der Dauer der Heilung besteht wieder die Gefahr einer erneuten Verletzung bei Entfernung des Pflasterverbandes. Im Sommer bereitet die Bedeckung der Unterarme Probleme, denn manch Tischnachbar im Restaurant machte sich sicherlich Gedanken über die Herkunft der vielen, großen Blutflecken, die ja eventuell auf Schläge des Partners zurückgeführt werden könnten. Darüber liegt ein kleiner Erfahrungsschatz vor.

Nach mehrjähriger Cortisonbehandlung mittlerer Stärke wird sich die Bildung eines grauen Stars nicht verhindern lassen. Da dies ein schleichender Vorgang ist, sollte man alles, was mit dem Sehen zu tun hat, genau beobachten und den Rat des Arztes suchen. Das Autofahren wird letztlich unmöglich auch eventuell durch zunehmende Kraftlosigkeit in Händen und Füßen. Da können eine Automatik und eine Servolenkung noch Wunder bewirken. Ein Austausch der getrübten Linsen wird unvermeidlich sein. In meinem Fall wurde dies nach fünf Jahren fällig. Die Operation verlief schmerzfrei und komplikationslos, das Ergebnis war überwältigend positiv.

Einen besonderen Stellenwert schreibe ich speziellen, krankengymnastischen Übungen zu, die sich im Zusammenhang mit Lähmungserscheinungen bei mir ganz vortrefflich bewährt haben: Die nach dem tschechischen Kinderneurologen "Vojta" benannte Behandlung, die einer Akupressurbehandlung wohl sehr nahe kommt, hat in meinem Fall unendlich viel Erleichterung und oft sofortige Hilfe gebracht. Dieses Vojta-Prinzip ist eine Art Bewegungstherapie, mit deren Hilfe es gelingt, bei Patienten mit neurologischen Bewegungsstörungen, wie sie bei meinen Beinen stark ausgeprägt waren, wieder normale Bewegungsmuster zu wecken. Aus meinem ursprünglich watschelnden Gang (die Fußheber funktionierten nicht mehr richtig), mein Mann sagte immer:" Heute läufst Du wieder wie Donald Duck", hat sich über die Jahre wieder ein fast normales Gehverhalten entwickelt, was von manch einem meiner mich behandelnden Ärzte eigentlich für unmöglich angesehen worden war. Zum Schluss muss ich noch ein Geständnis ablegen, das manch einen unter Ihnen überraschen mag: Es liegen mir relativ wenige Informationen vor, wie es anderen Leidensgenossen ergeht auch hier im Nahbereich unserer Klinik. Das wird wohl daran liegen, dass jeder Vaskulitispatient sein eigenes Krankheitsschicksal hat mit all seinen subjektiven Problemen. Die Bildung einer Selbsthilfegruppe ist daher meines Erachtens dringend erforderlich (diese gibt es inzwischen). Nach dem Motto: Nur Du allein schaffst es, aber Du schaffst es nicht allein.

Trotz vieler angeklungener negativer Aspekte kann ich aber feststellen: Es ist möglich, in vielen Bereichen trotz oder mit der Krankheit ein weitgehend normales Leben zu führen, wenngleich einige der früher gesteckten Lebensziele im beruflichen und privaten Bereich sich nicht mehr realisieren lassen. Dafür rücken andere Dinge in den Vordergrund.

Die Vaskulitis hat ihren Schrecken als unmittelbare Lebensbedrohung verloren. Diese Tatsache ist u.a. vielen Forschern auf medizinischem Gebiet zu verdanken, denen wir zu besonderem Dank verpflichtet sind.

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