ein Gedicht

Alles, worüber Ihr sonst noch reden wollt, was aber nicht unbedingt mit Vaskulitis zu tun haben muss: Das letzte Buch, das beste Rezept, die schönste Pflanze :-)
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Wolke
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ein Gedicht

Beitrag von Wolke » Do Aug 02, 2018 7:14 am

Hallo,

ich finde dieses Gedicht so schön!

Liebe Grüße Wolke




Gedicht von Mario de Andrade

Meine Seele hat es eilig.

Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe.
Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat: die ersten essen sie mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig waren, begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden, in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen , die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind. Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen. Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren. Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten. Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen, um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz um Überschriften zu diskutieren. Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile. Ohne viele Süßigkeiten in der Packung.

Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind. Menschen, die über ihre Fehler lachen können, die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden. Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen. Die die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten. Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die Herzen anderer zu berühren. Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten, durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.

Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig, mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine der Süßigkeiten, die mir noch bleiben, zu verschwenden. Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden, als die, die ich bereits gegessen habe.
Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt, wenn du erkennst, dass du nur eins hast.

Ingeborg
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Re: ein Gedicht

Beitrag von Ingeborg » Do Aug 02, 2018 4:18 pm

Danke,liebe Wolke,
für dieses schöne Gedicht.
Es spricht mich sehr an, und das nicht nur, weil (auch) bei mir nur noch wenige "Bömskes" in meiner Schachtel sind. Es dient auch dazu, mal innezuhalten und sich auf Wesentliches zu konzentrieren.
Das Geheimnis ist wohl, bei sich selbst zu bleiben und sich das nicht nehmen zu lassen.

Auch ich habe Menschen in den vergangenen Jahren über manche Jahre sozusagen mitgeschleppt. Zum großen Teil aus Gewohnheit. Hab großzügig 'Unebenheiten' übergangen und 'Giftspritzer' ignoriert. Aber selten etwas mitgemacht, was für mich keinen Sinn ergab oder keinen irgendwie sinnerfüllenden Zweck hatte. Und der Sinn der oft unterschiedlichen Gegebenheiten lief, wenn ich es richtig betrachte, seltsamerweise immer auf einen Punkt zu einem Grundthema zusammen.
Soweit sich nicht schon aus dem Unverständnis der Umwelt gegenüber der Erkrankung die Spreu vom Weizen getrennt hat, hab ich in den letzten Jahren aktiv "aufgeräumt", was mir keineswegs leid tut. Es sind sogar wirklich liebe Menschen hinzugekommen, wie ich es nicht erwartet hätte. Zu-fall. :D
liebe Grüße an alle,
Ingeborg
Man muß sich von sich selbst auch nicht alles gefallen lassen.
(Viktor Frankl, 1905-1997)

amica
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Re: ein Gedicht

Beitrag von amica » Do Aug 02, 2018 5:13 pm

Vielen Dank Wolke, das Gedicht spricht mir wirklich aus der Seele!
Es soll aber ursprünglich von dem brasilianischen Schriftsteller Ricardö Gondim stammen.

Hope
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Re: ein Gedicht

Beitrag von Hope » Do Aug 02, 2018 10:13 pm

Hallo Wolke,
auch mir gefällt dieses Gedicht sehr gut, und ich kann es an diesem schönen Sommerabend nochmal nachklingen lassen.-
Aus der Schachtel sind auch bei mir, zumindest statistisch betrachtet, die meisten Bonbons verschwunden, und während ich in jungen Jahren im Glauben, die Schachtel würde nie leer, schon mal eins hastig zerbissen habe, genieße ich sie nun wirklich, soweit dies trotz Erkrankung möglich ist. Mit den richtigen Menschen an der Seite findet man vielleicht noch einen zweiten Boden in der Schachtel, der eine Extraration verbirgt, mit der man gar nicht mehr gerechnet hat.
Alles Gute für Euch,
Hope

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